GAIA
Wissenschaftliche Mission der ESA zur Astrometrie, mit der rund 1 Prozent der Sterne unserer Milchstraße astrometrisch, photometrisch und spektroskopisch mit sehr hoher Präzision vermessen werden soll. Das Ziel von GAIA ist die dreidimensionale Kartierung der Sterne unserer Galaxis. Diese Mission wird die wissenschaftlichen und technischen Erfahrungen der Hipparcos-Mission der ESA in den 1980er Jahren nutzen, die einhunderttausend Sterne mit hoher Präzision und über eine Million Sterne mit geringerer Genauigkeit katalogisierte. Die von Gaia gesammelten Messdaten werden es den Astronomen erlauben, besser als jemals zuvor zu verstehen, wo, wann und wie die Sterne entstanden sind und wie sie ihre Umgebung mit Materie anreichern, wenn sie sterben. Gaia wird mit bisher unerreichter Genauigkeit die Entfernungen (Parallaxen) und Bewegungen (Eigenbewegungen, Radialgeschwindigkeiten) von ungefähr einer Milliarde Sternen bestimmen, was den Astronomen ein klareres Bild von der Struktur und der Entwicklung unseres Milchstraßensystems geben wird. Man rechnet mit der Entdeckung Hunderttausender neuer Himmelskörper, wie z. B. extrasolarer Planeten und „gescheiterter Sterne“, so genannter Brauner Zwerge, ferner Supernovae und Quasare. Auch wird GAIA nach Hinweisen auf die Verteilung der mysteriösen Dunklen Materie suchen.
Ein zusätzlicher wissenschaftlicher Nutzen besteht in der Erkennung und Klassifizierung Zehntausender extrasolarer Planetensysteme sowie in der detaillierten Erfassung von Objekten. Hierzu gehören gigantische Mengen kleinerer Körper innerhalb unseres Sonnensystems, unsere Nachbargalaxien sowie etwa 10 Mio. Galaxien und 500.000 entfernte Quasare. Neben der Zusammensetzung unserer Milchstraße wollen die Wissenschaftler mit Gaia auch Wechselwirkungen mit anderen Galaxien wie den Magellanschen Wolken oder dem Andromeda-Nebel erforschen. Ferner sollen beweiskräftige neue Tests zur allgemeinen Relativität durchgeführt werden.
Astrometrie-Sonde Gaia vor dem Band der Milchstraße Quelle: DLR |
GAIA wurde von Astrium gebaut und am 19. Dezember 2013 mit einer Sojus-Rakete von Kourou aus gestartet. GAIA befindet sich auf einer Umlaufbahn um die Sonne in 1,5 Millionen Kilometer Entfernung von der Erde und ist auf dem Lagrange-Punkt L2 stationiert, einem der fünf Lagrange-Punkt in unserem Sonne-Erdsystem. Lagrange-Punkte sind Gleichgewichtspunkte in unserem Sonnensystem, an denen sich Körper wie beispielsweise Satelliten, fest und vollkommen stabil im Weltraum positionieren lassen. Diese Punkte sind für Weltraummissionen zu astronomischen Observationszwecken von großer Bedeutung, da diese eine sehr hohe Richtstabilität erfordern.
Ursprünglich war das Missionsende für den 25. Juli 2019 vorgesehen, es wurde aber inzwischen auf 2023/24 verschoben.
Der Name Gaia leitet sich ab von dem Akronym für „Globales Astrometrisches Interferometer für die Astrophysik“. Er kennzeichnet die ursprünglich für dieses Teleskop geplante Technik der optischen Interferometrie. Inzwischen hat sich zwar das Messprinzip geändert, sodass das Akronym nicht mehr zutrifft. Trotzdem bleibt es bei dem Namen Gaia, um die Kontinuität in dem Projekt zu gewährleisten.
Gaia teilt sich in ein Nutzlast- und ein Servicemodul auf. Das Nutzlastmodul besteht aus zwei Teleskopen und drei Instrumenten. Das Servicemodul enthält das Antriebssystem und die Kommunikationssysteme.
Das Weltraumobservatorium ist über zwei Tonnen schwer, rund drei Meter groß und verfügt über zwei hochpräzise Teleskope und eine Kamera mit 106 einzelnen lichtempfindlichen CCD-Sensoren, die zusammengesetzt das bislang größte Focal-Plane-Array im Weltraum bilden. So sind auf einer Fläche von 0,38 m² knapp eine Milliarde Pixel zu finden. Das Observatorium beobachtet in jedem seiner zwei "Gesichtsfelder" im Schnitt 250 Sterne pro Sekunde. Insgesamt entsteht ein Datenberg von 1 Petabyte, das entspricht dem Speichervolumen von 200.000 DVDs. Die Messgenauigkeit der Sternpositionen für die hellsten Sterne ist dabei mit 10 bis 20 Mikrobogensekunden bis zu 100mal höher als bei der Vorläufer-Mission Hipparcos und entspricht der Auflösung einer Euro-Münze auf dem Mond. Zusammen mit der Erde soll Gaia die Sonne im Erdschatten zirka fünf Jahre lang umrunden und kontinuierlich messen.
Das Licht wird von zwei Teleskopen auf das Focal-Plane-Array gelenkt, auf denen zwei Primärspiegel im Winkel von 106,5°C zueinander montiert sind, die für ein großes Blickfeld sorgen. Trotz der geringen Abmessungen des Raumfahrzeugs – das Nutzlastmodul misst im Durchmesser 3,5 Meter – beträgt die effektive Brennweite der beiden Teleskope 35 Meter. Dahinter steckt eine raffinierte Methode, mit der das gebündelte Licht durch zehn Spiegel unterschiedlicher Größe und Form geleitet wird. Auf diese Weise kann Gaia Objekte „sehen“, die 400.000-mal schwächer leuchten als vom menschlichen Auge erkennbare Körper. Pro Tag beobachtet Gaia durchschnittlich 850 Millionen Objekte und sammelt dabei rund 20 Gigabyte an Daten.
Mit den Daten von Gaias drei Bordinstrumenten für astrometrische, photometrische bzw. spektroskopische Messungen soll jeder kartierte Stern mit einer Fehlertoleranz von gerade einmal sechs Mikrobogensekunden lokalisiert werden. Dies entspricht, von der Erde aus betrachtet, einer etwa pfenniggroßen Münze auf dem Mond.
Eine extreme Stabilität ist ausschlaggebend für derart genaue Beobachtungen und war daher entscheidend in der Werkstofffrage: Astriums entschied sich für Siliziumcarbid (SiC), ein keramisches Material zweimal so steif wie Stahl, ultraleicht und bemerkenswert widerstandsfähig gegen Ausdehnung und Kontraktion bei Temperaturveränderungen. SiC ist das einzige Material, das ein stabiles und leichtes Raumfahrzeug mit hoher Lebensdauerermöglicht; Gaia wird das größte Weltrauminstrument aus Keramik sein, das jemals zum Einsatz kam. Die SiC-Technologie wird bereits bei Herschel und Aladin, ebenso wie auf drei Erdbeobachtungssatelliten (Formosat, Theos und Alsat-2) genutzt.
Zum Schutz gegen Vibrationen weist der Satellit praktisch keinerlei bewegliche Bauteile auf, sogar seine Antenne zur Kommunikation mit der Erde wird elektronisch statt mechanisch ausgerichtet. Da der übliche chemische Antrieb somit ausschied, wurde eigens für diese Mission zur genauen Lageregelung ein komplett neues, stickstoffbetriebenes Kaltgas-Triebwerk mit Mikroschubdüsen entwickelt, dessen Kraft sich im Mikronewton-Bereich bewegt. Würde man damit ein Blatt Papier tragen wollen, bräuchte man 1.000 dieser Mini-Triebwerke.
GAIA - Relativität auf dem Prüfstand
Die Gaia-Mission wurde 1993 vom schwedischen Astronom Lennart Lindegren der Universität Lund vorgeschlagen. Als einer der weltweit bedeutendsten Astronomie-Experten betont Lindegren, dass Gaia zudem Einsteins Relativitätstheorie, der zufolge Materie die Raum-Zeit-Krümmung bedingt, mit bislang ungekannter Präzision belegen wird. Selbst Lichtstrahlen werden gekrümmt, wenn sie auf Festkörper wie die Sonne treffen.
„Gaia wird dieses Phänomen genauer als je zuvor erfassen und außerdem die Ablenkung von Lichtstrahlen durch den Jupiter, die Erde und andere Planeten beobachten“, so Lindegren. „Wir hoffen, dass diese Messdaten Einsteins allgemeine Relativitätstheorie und somit auch unser gegenwärtiges Verständnis der Raumzeit bestätigen."
GAIA vermisst die Milchstraße Quelle: Airbus D&S |
Weitere Informationen:
- ESA's 'billion-pixel' camera (esa bulletin 137, 2009)
- ESA’s Billion-Star Surveyor (esa bulletin 155, 2013)
- Gaia - Eine stereoskopische Vermessung unserer Galaxis (ESA 2006)
- Gaia - Startseite (ESA)
- Gaia - ESA's Galactic Census (ESA)
- Gaia - Die Vermessung der Milchstraße (DLR)