Lexikon der Fernerkundung

Radarsystem

Engl. radar system; bei Radarsystemen handelt es sich um aktive Fernerkundungsverfahren, d.h. die verwendete elektromagnetische Strahlung wird vom Aufnahme-System selbst erzeugt. Dabei handelt es sich stets um Mikrowellenstrahlung einer bestimmten Frequenz im Bereich zwischen etwa 1 und 100 cm Wellenlänge. Die Daten-Aufnahme ist deshalb unabhängig von den naturgegebenen Strahlungsverhältnissen und - da die Mikrowellen Wolken, Dunst und Rauch durchdringen - auch unabhängig von der jeweiligen Wetterlage. Radarsysteme erfassen und lokalisieren ausgestrahlte und reflektierte Strahlung, womit sie Höhen messen und Geländebilder erzeugen.

Abbildende Radar-Systeme erstellen durch Abstrahlung und Empfang von Mikrowellenstrahlung Reflektivitätskarten des bestrahlten Teils der Erdoberfläche. Typischerweise werden in der Fernerkundung Mikrowellen im X-Band mit ca. 3 cm Wellenlänge, im C-Band mit ca. 6 cm oder im L-Band mit ca. 24 cm eingesetzt. Es werden aber auch Experimentalsysteme mit anderen Wellenlängen betrieben. Für Wellenlängen ab dem Zentimeter-Bereich ist der Transmissiongrad der Erdatmosphäre sehr hoch. Mikrowellenstrahlung mit einer Wellenlänge von größer als 1 cm kann kleine Wassertropfen beinahe ungehindert durchdringen. Daher werden Radar-Systeme von Wolken, Nebel und Regen kaum beeinträchtigt. Da Radar-Systeme die Erdoberfläche aktiv bestrahlen, können sie unabhängig von externen Beleuchtungsquellen, und somit unabhängig von der Tageszeit betrieben werden. Aufgrund dieser Eigenschaften sind Radar-Systeme vor allem in Gebieten mit regelmäßiger Wolkenbedeckung oder langer Dunkelheit, wie sie beispielsweise in tropischen bz. in polaren Regionen anzutreffen sind, gegenüber optischen Sensoren klar im Vorteil.

Die Wellenlänge bzw. Frequenz der verwendeten Mikrowellenstrahlung wird durch die technischen Einzelheiten des Systems definiert. Üblich, aber ohne einheitliche Festlegung ist die Kennzeichnung einzelner Wellenbereiche durch Buchstaben. Die in der FE am häufigsten verwendeten Frequenzbereiche sind:

Häufige Frequenzbereiche in der Fernerkundung
Ka-Band λ ≈ 0,7 - 1 cm f ≈ 30 - 40 GHz
X-Band λ ≈ 2,4 - 4,5 cm f ≈ 7 - 12 GHz
C-Band λ ≈ 4,5 - 7,5 cm f ≈ 4 - 7 GHz
L-Band λ ≈ 15 - 30 cm f ≈ 1 - 2 GHz
P-Band λ ≈ 60 - 300 cm f ≈ 0,2 - 0,5 GHz

Die Unterschiede sind deshalb wichtig, weil die Wechselwirkung zwischen der Strahlung und den Materialien an der Erdoberfläche in den einzelnen Wellenlängenbereichen sehr unterschiedlich ist.

Die folgende Abbildung skizziert die Funktionsweise eines einfachen Radarsystems. Im Flugzeug wird ein kombinierter Sender/Empfänger mitgeführt, dessen seitlich blickende Antenne schräg nach unten gerichtet ist. Sie ist so konstruiert, dass sich die in einem Bruchteil einer Sekunde ausgestrahlten Mikrowellen in einen sehr schmalen, aber langen Raumwinkel hinaus senkrecht zur Flugrichtung ausbreiten. Zu einem bestimmten Zeitpunkt erreicht die Front der ausgesandten Wellen ein bestimmtes Flächenelement F des Geländes. Von diesem wird die auftreffende Mikrowellenstrahlung teilweise reflektiert; ein mehr oder weniger großer Anteil der reflektierten Strahlung kehrt zurück zur Antenne und wird dort als Signal empfangen und registriert. Da die von den Mikrowellen bestrahlte Fläche über das Gelände hinwegwandert, können die Reflexionssignale von einem schmalen Geländestreifen nacheinander erfasst und als Bildzeile aufgezeichnet werden. Durch die Vorwärtsbewegung des Flugzeugs entsteht dann - wenn die Folge von Senden und Empfangen systematisch wiederholt wird - eine vollständige zeilenweise Bildaufzeichnung eines neben dem Flugzeug verlaufenden Geländestreifens.

Die Blickrichtung wird in der Radarfernerkundung gewöhnlich als Entfernungsrichtung (engl. range) bezeichnet. Ein nach diesem Prinzip arbeitendes System wird Seitensicht-Radar (engl. Sidelooking Airborne Radar oder SLAR) genannt.

Schematische Darstellung der Radar-Aufnahme Schematische Darstellung der Radar-Aufnahme

Die durch Aussendung einer einzelnen Wellenfront und den Empfang der
reflektierten Signalfolge S entstehende Bildzeile ist als Grauwertprofil dargestellt.

Quelle: Albertz 2007

Solche Systeme (auch als Systeme mit Realer Apertur genannt) sind nur für geringe Flughöhen geeignet, bei denen die Entfernung zwischen Antenne und Gelände nicht zu groß ist.

Um in Flugrichtung eine höhere Auflösung zu erreichen und insbesondere die Aufnahme von Radarbildern auch von Satelliten aus möglich zu machen, müssen Radar-Systeme mit Synthetischer Apertur (engl. Synthetic Aperture oder SAR) eingesetzt werden. Dabei wird nur eine kurze Antenne verwendet, welche die Mikrowellenimpulse in einer breiten Keule mit dem Öffnungswinkel γ abstrahlt. Während des Fluges werden die einzelnen Geländepunkte aber wiederholt bestrahlt. Dementsprechend tragen sie mehrfach zu den empfangenen Reflexionssignalen bei, welche dadurch in komplexer Weise miteinander korreliert werden. Bei der Verarbeitung können die Daten jedoch so behandelt werden, als würden sie von einzelnen Elementen eines sehr langen Antennenarmes stammen. Dadurch lassen sich Bilddaten mit hoher geometrischer Auflösung ableiten. Je weiter die Geländepunkte von der Antenne entfernt sind, desto häufiger werden sie abgebildet und desto länger ist die scheinbare (synthetische) Antenne. Dies führt dazu, dass die Auflösung Δx in der Flugrichtung entfernungsunabhängig wird.

Zur Wirkungsweise von Radar-Systemen mit synthetischer Apertur Zur Wirkungsweise von Radar-Systemen
mit synthetischer Apertur

Nahe gelegenen Geländepunkte (z. B. A) werden über eine kurze Strecke fortlaufend beobachtet, die wirksame Antennenlänge ist dann kurz (SAR-Antenne A). Weiter entfernte Punkte (z. B. B) werden über eine längere Strecke beobachtet, die wirksame Antennenlänge ist dann entsprechend länger (SAR-Antenne B).

Quelle: Albertz 2007

Die Art und Weise, wie die Erdoberfläche in Radar-Bildern wiedergegeben wird, hängt vom Zusammenwirken vieler Einzelfaktoren ab. Dabei handelt es sich um

Von Polarisation spricht man, wenn elektromagnetische Wellen nur in einer ausgezeichneten Richtung schwingen. Die von der Antenne abgestrahlten Mikrowellen können horizontal (H) oder vertikal (V) polarisiert sein. Beim Empfang kann das System wiederum auf horizontale oder vertikale Polarisation eingestellt sein. Dadurch sind vier Kombinationen der Polarisation ausgesandter und empfangener Mikrowellen möglich, nämlich HH, VV, HV und VH.

Aufnahme-Parameter in der Radartechnik Aufnahme-Parameter in der Radartechnik

Von zwei parallelen Flugbahnen aus kann ein Geländestreifen
in stereoskopischer Überdeckung aufgenommen werden. Ein
Punkt des Geländes erscheint dann in den Bildern unter
verschiedenen Depressionswinkeln.

Quelle: Albertz 2007

Als Depressionswinkel bezeichnet man in der Radartechnik den Winkel zwischen der Horizontebene des Aufnahmesystems und dem Strahl zum beobachteten Objekt. Der auch Einfallswinkel (incidence angle) genannte Winkel wirkt sich unmittelbar auf die Auflösung des Systems quer zur Flugrichtung aus und bestimmt die Bestrahlungsstärke der Geländeoberfläche. Außerdem steht er in engem Zusammenhang mit der Geometrie der Abbildung und der Möglichkeit, Stereobildstreifen aufzunehmen.

Die Oberflächenrauigkeit hat großen Einfluss auf die Reflexionscharakteristik einer Fläche. Ist sie im Vergleich zur Wellenlänge der Strahlung gering, dann werden die Mikrowellen gespiegelt; zum System kehrt dann praktisch kein Signal zurück, so dass solche Flächen im Radarbild dunkel erscheinen.

Reflexion von Mikrowellen an Oberflächen verschiedener Rauhigkeit Reflexion von Mikrowellen an Oberflächen verschiedener Rauigkeit

Links: Spiegelnde Reflexion an einer im Verhältnis zur Wellenlänge glatten Fläche (z. B. Sand)

Rechts: Diffuse Reflexion an einer rauhen Fläche (z. B. Felsbrocken).

Quelle: Albertz 2007

Liegt die Rauigkeit dagegen in der Größenordnung der Wellenlänge, so wirkt die Fläche als diffuser Reflektor. Mischformen der Reflexion sind häufig.

Die jeweilige Oberflächenform führt dazu, dass manche Flächen der schräg einfallenden Mikrowellenstrahlung zugewandt sind und deshalb stärker bestrahlt werden, während die abgewandten Flächen nur geringe Bestrahlung erfahren. Im Bild erscheint deshalb die Geländefläche je nach ihrer Exposition in bezug auf das Radarsystem heller oder dunkler. Wenn eine systemabgewandte Fläche steiler geneigt ist als der Depressionswinkel, dann erhält sie überhaupt keine Bestrahlung. Das Radarbild zeigt dann völlig informationslose tiefe Schlagschatten, sog. Radarschatten.

Als Besonderheit der Radar-Aufnahme treten Rückstrahl-Effekte auf, und zwar wenn benachbarte horizontale und vertikale Flächen zum Sensor hin orientiert sind und spiegelnd reflektieren.

Radar_Rueckstrahl Rückstrahl-Effekt bei der Aufnahme von Radarbildern

Durch zweimalige Spiegelung wird die Mikrowellenstrahlung genau in Richtung auf den Sensor reflektiert. Im Bild entsteht ein heller, überstrahlter Fleck.

Quelle: Albertz 2007

Von großem Einfluss auf die Ausbreitung der Mikrowellen und damit auf das Reflexionsvermögen sind die elektrischen Eigenschaften der Materialien an der Erdoberfläche. Besonders starke Reflexion tritt an metallischen Strukturen (z.B. Zäune, Masten von Hochspannungsleitungen u.ä.) auf. Andere Materialien mit hoher Dielektrizitätskonstante (z.B. feuchte Böden) reflektieren stark, und die Strahlung dringt nur wenig in das Material ein. Mit abnehmender Dielektrizitätskonstante (z.B. mit abnehmender Bodenfeuchte) wird auch das Reflexionsvermögen geringer, die Eindringtiefe nimmt jedoch zu. Das zu beobachtende Reflexionssignal hängt demnach von einer mehr oder weniger dicken Oberflächenschicht ab und mag deshalb auch Informationen zu vermitteln, die z.B. mit optischen Sensoren nicht erfassbar sind.

Die Wechselwirkung zwischen der Mikrowellenstrahlung und den Materialien an der Erdoberfläche ist kompliziert, die Interpretation von mit Radar-Systemen gewonnenen Bildwiedergaben entsprechend schwierig.

Für den Satelliteneinsatz kam von Beginn an nur das SAR-Verfahren in Frage. Experimentellen Charakter hatte noch sein Einsatz im Satelliten SEASAT-1 (1978) und ab 1981 in mehreren Space-Shuttle-Flügen mit dem Shuttle Imaging Radar (SIR). Kontinuität setzte mit den europäischen FE-Satelliten ERS (1991/5), ENVISAT (2002) und dem kanadischen RADARSAT ein. Die ERS waren mit den SAR-Systemen AMI ausgestattet, ENVISAT mit der Weiterentwicklung ASAR und RADARSAT trägt ein SAR-System, das in verschiedener Weise betrieben werden kann.

Der Einsatz des INSAR während der Shuttle Radar Topography Mission erlaubte die Erstellung eines weltweiten digitalen Geländemodells. Radarsatelliten wie der ERS-1 werden auch zur Eisbergwarnung eingesetzt. Eine Beschränkung stellt allerdings die Wiederholrate der Überflüge dar, die etwa bei 1 Woche liegt. Das deutsche Bundesamt für Seeschiffahrt und Hydrographie verwendet z.Z. SAR-Daten des ERS-2 aus der Quicklook-Kette operationell zur Eiswarnung. Der dänische Eisdienst verwendet RADARSAT-Daten. Eine Schwadbreite von ca. 500 km ermöglicht eine tägliche Abdeckung.

Weitere Informationen:


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