Lexikon der Fernerkundung

GRACE

Engl. Akronym für Gravity Recovery and Climate Experiment; gemeinsame Mission von DLR und NASA mit Hilfe von 2 baugleichen Kleinsatelliten zur Bestimmung des irdischen Schwerefeldes und zur Beschreibung von Austauschvorgängen zwischen Land, Ozean und Atmosphäre als Nachfolgeprojekt zu CHAMP. Erreicht wird dieses Ziel über eine deutlich verbesserte Darstellung des Geoids, jener imaginären Fläche, die ein im Ruhezustand (Ausschluss von Ozeanströmungen, Winden, Tiden) befindlicher, die gesamte Erde vollständig bedeckender Weltozean unter Einfluss der Schwerkraft besäße. Diese Fläche ist als Normal-Null geläufig. Sie variiert global um ±100 m.

Karte des Gravitationsfeldes

Schwerkraftanomalie (mGal*)

Karte des Gravitationsfeldes aufgrund jahrzehntelanger Messungen

Vor GRACE wurde das Schwerefeld der Erde anhand von Messungen unterschiedlicher Qualität von verschiedenen Satelliten und mit unvollständiger Abdeckung bestimmt. Folglich waren die Genauigkeit und die Auflösung des Schwerefelds begrenzt. Wie in der Abbildung links dargestellt, waren die langwelligen Komponenten des Schwerefelds, die aus der Satellitenverfolgung ermittelt wurden, auf eine Auflösung von etwa 700 km beschränkt. Bei kürzeren Wellenlängen waren die Fehler zu groß, um nützlich zu sein. Es konnten nur grobe geophysikalische Merkmale der Erdstruktur erkannt werden.

*Einheit zur Beschreibung von Schwerkraftvariationen über der Erdoberfläche. 1 milligal (mGal) = 0,00001 m/s², was mit der gesamten Schwerkraft an der Erdoberfläche von 9,8 m/s² vergleichbar ist.
Vorläufige Karte des Graviationsfeldes

Schwerkraftanomalie (mGal*)

Vorläufige Karte des Gravitationsfeldes aufgrund von Grace-Daten über 111 Messtage

Im Gegensatz dazu hat GRACE selbst genaue Schwerkraftinformationen mit einer Auflösung von 200 km geliefert. Jetzt sind viel mehr Details in den geophysikalischen Merkmalen der Erde deutlich erkennbar. Zu den von GRACE entdeckten hochauflösenden Merkmalen, die für geophysikalische Phänomene repräsentativ sind, gehören die Tonga/Kermadec-Region (eine Zone, in der sich eine tektonische Platte unter eine andere schiebt), die Himalaya/Tibet-Plateau-Region (ein Gebiet, in dem es aufgrund kollidierender Platten zu einer Hebung kommt) und der mittelatlantische Rücken (ein aktives Spreizungszentrum in der Mitte des Atlantiks, in dem neue Kruste gebildet wird).

Es wird erwartet, dass zukünftige GRACE-Schwerefeldmodelle die Auflösung weiter erhöhen werden. Die zweite Abbildung bestätigt, dass die Grace-Daten global, homogen und sehr genau sind. Dies sind alles Eigenschaften, die für die Entwicklung von Schwerkraftmodellen angestrebt wurden.

Quelle: NASA

 

Wie CHAMP wurden die im März 2002 im russischen Plessetsk gestarteten Zwillingssatelliten von Astrium (heute Airbus Defence and Space), Immenstaad, gebaut. Die wissenschaftliche Auswertung obliegt auf deutscher Seite dem GFZ Potsdam. Die beiden in 485 km Höhe mit einem Abstand von 220 km auf gleichem, nicht-sonnensynchronen Orbit hintereinander her fliegenden Grace-Satelliten besitzen eine Inklination von 89° und eine Umlaufzeit von 94 Minuten. Sie reagieren empfindlich auf kleinste Änderungen in der Gravitationsbeschleunigung, wie sie durch die räumliche Verteilung der unterschiedlichen Massen verursacht werden. Kommt beispielsweise der "vorausfliegende" Satellit in einen Bereich erhöhter Schwerkraft, wird er beschleunigt und der Abstand zu dem zweiten Satelliten nimmt zu. Gerät auch der zweite Satellit in den Bereich stärkerer Schwerkraft, während der erste bereits aus ihm "herausklettert", verringert sich die Distanz wieder. Diese Änderungen werden über eine hochgenaue Distanzmessung zwischen den beiden Satelliten bestimmt.

Als Folge können mit den Grace-Daten klimatisch bedingte Massenumlagerungen erkannt werden, Prozesse, die bisher messtechnisch unzugänglich waren. Beispielsweise wurde mit ihnen das Muster der jahreszeitlichen Veränderungen im Wasserbudget der Kontinente erfasst. Ihre Analyse zeigt, dass die größten saisonalen Schwankungen in den Einzugsgebieten der großen tropischen und sibirischen Flüsse auftreten, beispielsweise Amazonas, Kongo, Ganges sowie Ob und Lena. Ferner können auf dieser Grundlage großräumige klimatologische Modelle der globalen und kontinentalen Wasserbilanz verbessert werden.

Herstellung der GRACE-Zwillinge bei Astrium

Herstellung der GRACE-Zwillinge
bei Astrium (heute Airbus D&S)

Die beiden Satelliten wurden im Auftrag der NASA bei Astrium in Friedrichshafen gebaut und sollen mindestens fünf Jahre lang wissenschaftliche Daten zur Erde senden. Die Auswertung der Daten erfolgt unter anderem beim GeoForschungsZentrum in Potsdam, während die Flugkontrolle während der gesamten Missionsdauer vom Deutschen Raumfahrt-Kontrollzentrum in Oberpfaffenhofen (Bayern) aus erfolgt.

Quelle: University of Texas CSR
GRACE-Zwillinge und Breeze-Raketenoberstufe

GRACE-Zwillinge bei der Trennung von der Breeze-Raketenoberstufe

Die beiden Satelliten mit den Spitznamen "Tom" und "Jerry" wurden etwa 85 Minuten nach dem Start von der Breeze-KM-Oberstufe abgesetzt.

Die Satelliten, die sich in einer Höhe von etwa 300 Meilen befinden, wurden für den Beginn ihrer Tandem-Mission auf einen Abstand von etwa 137 Meilen zueinander manövriert.

Quelle: NASA
GRACE-Zwillinge im Tandemflug

GRACE-Zwillinge im Tandemflug

Die Massenanziehung beeinflusst die Bahn der Satelliten und ihre Geschwindigkeit. Da beide auf gleicher Bahn hintereinander herfliegen, wird der vorausfliegende jeweils ein wenig früher beeinflusst. Dadurch ändert sich ihr Abstand minimal.

Eine Mikrowellen-Verbindung zwischen den beiden Satelliten erlaubt es, diesen Abstand auf Haaresbreite genau zu vermessen. Daraus lassen sich genaue Rückschlüsse über die Massenverteilung auf der Erde und ihre Veränderungen ziehen. Mit GRACE werden monatlich alle Kontinente "gewogen". Hierbei bestimmt man unter anderem das Ausmaß der Polkappen-Schmelze, den großflächigen Rückgang von Grundwasser-Reservoirs und liefert wichtig Information zur Abschätzung des Meeresspiegel-Anstiegs.

Quelle: DLR

Messungen der Massenbilanz ermöglichen auch das Monitoring der festländischen Eismassen, deren Veränderungen eine wesentliche Bedeutung für das Niveau des Meeresspiegels haben. Grönland z.B. hat von 2002 bis 2005 pro Jahr durchschnittlich 162 km³ Eis verloren. Im gleichen Zeitraum ist die Eisdecke der Antarktis um 150 km³ geschrumpft. Diese letzte Angabe widerspricht den weniger präzisen Radar-Messungen von ERS-2 und ENVISAT.

Eismassenverlust in Grönland 2002-05

Eismassenverlust in Grönland

Die Grafik links zeigt den Eismassenverlust in Grönland, wie er mit GRACE im Zeitraum von 2002-2005 gemessen wurde. Die Angaben sind in km³/Jahr. Der beobachtete Eismassenverlust trägt mit ca. 0,4 mm/a zum weltweiten Meeresspiegelanstieg bei.

Quellen: NASA
40694720_geoid_2011

Potsdamer Kartoffel

Geoid 2011, Datenbasis: Satelliten LAGEOS, GRACE und GOCE und Oberflächendaten (Fluggravimetrie und Satelliten-Altimetrie), weitere langjährige Datenreihen

Die als „Potsdamer Schwerekartoffel“ bekannt gewordene Darstellung der irdischen Anziehungskraft erlaubt jetzt erstmals die Darstellung zeitlich veränderlicher Schweregrößen. Die jahreszeitlichen Schwankungen des Wasserhaushalts der Kontinente oder abschmelzende oder zunehmende Eismassen, also klimarelevante Größen, gehen jetzt in die Modellierung des Erdschwerefeldes ein.

Quellen: GFZ Potsdam

Das Abschmelzen der grönländischen und antarktischen Eisschilde hat sich in den vergangenen Jahren zwar beschleunigt, dennoch ist es wissenschaftlich gesehen zumindest für Grönland noch zu früh, sicher von einem langfristigen Trend zu sprechen. Nach einer Studie der University of Colorado in Boulder und des GFZ Potsdam, die auf der Auswertung von Grace-Daten über neun Jahre hinweg beruht, zeigt sich, dass sich das Abschmelzen der Eispanzer während dieser Zeit im Schnitt fast verdoppelt hat – zusammen kommt man auf derzeit etwa 300 Milliarden Tonnen pro Jahr. Die Ursachen dieses beschleunigten Eismassenschwunds geben den Wissenschaftlern weiterhin Fragen auf: Neben der anthropogen bedingten Erwärmung werden die Eisschilde durch eine Vielzahl natürlicher Prozesse beeinflusst, wie z.B. Variationen im Schneefall und langsame Veränderungen der Meeresströmungen.
Aufgrund des für Klimaprognosen kurzen Beobachtungszeitraums, können Vorhersagen des Meeresspiegelbeitrags beider Eischilde bis zum Jahr 2100 um mehr als 35 cm zu hoch oder zu niedrig sein.

Eismassen und Isostasie Eismassen und Isostasie

Rate der Geoidhöhenänderung über Nordamerika durch glazialisostaische Anpassung und Eismassenverluste in Grönland und Alaska beobachtet mit GRACE zwischen August 2002 und August 2011. Die glazialisostatische Anpassung beschreibt den Deformation der Erde durch die Eispanzer der letzten Eiszeit.

Heute fließt verdrängtes Mantelmaterial zurück in die Gebiete früherer Vereisung (Zunahme der Geoidhöhe; rot). Die Eismassenverluste (Abnahme der Geoidhöhe; blau) in Alaska und Grönland sind zum großen Teil eine direkte Antwort auf die rezente Erwärmung der Polargebiete.

Quelle: GFZ Potsdam

Seit der Verfügbarkeit von GRACE-Messungen können die thermischen und massebedingten Beiträge zum Meeresspiegelanstieg mit höherer Genauigkeit voneinander getrennt werden. So ergibt einen Analyse, dass die beobachteten Meeresspiegelveränderungen zwischen 2005 und 2012 größtenteils durch Massenveränderungen der Ozeane verursacht wurden. Der Beitrag thermischer Veränderungen der Ozeane erscheint dagegen vergleichsweise gering.

Die beiden Satelliten waren für eine Lebensdauer von fünf Jahren ausgelegt. Nach über zehn Jahren in der Umlaufbahn altern jedoch die Bauteile, so können die Satelliten beispielsweise auf der Nachtseite der Erde keine Daten mehr aufnehmen, weil ohne Sonneneinstrahlung die Batterien dazu nicht genügend Energie liefern können.
Ihr kontrollierter Absturz erfolgte im Dezember 2017 und im Januar 2018. Die Nachfolgemission GRACE-FO startete im Mai 2018. Die Fertigung der beiden Satelliten erfolgte wiederum bei Airbus Defence and Space.

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