Lexikon der Fernerkundung

Strahlungsbilanz

Syn. Strahlungshaushalt; Differenz zwischen den Strahlungsflüssen, die das System Erde-Atmosphäre in Form kurzwelliger Strahlung von der Sonne empfängt und die das System Erde-Atmosphäre in Form langwelliger Strahlung wieder in den Weltraum abstrahlt. Sind die beiden Anteile gleich groß, ist die Strahlungsbilanz null und der Strahlungshaushalt ausgeglichen. Die Bilanz kann auch für charakteristische Orte oder Regionen aufgemacht werden.

Unter den genannten Bedingungen befindet sich eine Atmosphärenschicht im Strahlungsgleichgewicht. Die Stratosphäre befindet sich global und zeitlich gemittelt im Strahlungsgleichgewicht, während die Troposphäre ein deutliches Defizit im Strahlungshaushalt aufweist. Der über ein Jahr gemittelte extraterrestrische Strahlungsfluß der Sonne auf eine senkrecht zur Verbindungslinie Erde-Sonne stehende Fläche, die sogenannte Solarkonstante, beträgt 1.368 W/m2. Auf die gesamte Erdoberfläche bezogen ergibt sich eine mittlere Bestrahlungsstärke von einem Viertel des Wertes der Solarkonstanten, nämlich 342 W/m2.

Sonnenstrahlung und irdische Strahlungsbilanz Sonne

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Bedeutung der Strahlungsbilanz in der Meteorologie

Die Sonnenstrahlung ist kurzfristig gesehen - etwa über eine Dekade hinweg - ziemlich beständig. Aber im Laufe vieler Jahre kann sie sich verändern und das irdische Klima beeinflussen. Die Erdatmosphäre verschleiert unseren Blick auf dieses Phänomen, und so bekommen Satelliten oberhalb unserer Atmosphäre eine entscheidende Bedeutung bei der Beobachtung der Veränderungen.

Die Strahlungsbilanz, also die Summe der eine definierte Oberfläche eintreffenden und verlassenden Energieflüsse durch elektromagnetische Strahlung, ist eine wichtige Komponente der Energiebilanzen, die Austauschprozesse im Klimasystem antreiben. In der Meteorologie können die Bezugsflächen von der globalen Skala (zum Beispiel globale Jahresmittel am Oberrand der Atmosphäre in etwa 50 km Höhe) bis zur mikroskopischen Skala eines einzelnen Eiskristalls in einer Cirruswolke reichen. Sie setzen sich aus zwei Komponenten zusammen: der „kürzerwelligen“ solaren Strahlung im Wellenlängenbereich zwischen etwa 0,3 und 4,0 μm sowie der „längerwelligen“ thermischen Eigenstrahlung zwischen etwa 3,0 und 40 μm.

Räumliche und auch zeitliche Differenzen zwischen Bilanz- oder Nettowerten können Antriebe für weitere Austauschprozesse sein (zum Beispiel turbulente Änderungen der Bezugsfläche), die ihrerseits die Strahlungsfelder modifizieren (zum Beispiel innerhalb Wolken). Die dabei erfolgenden Umsätze müssen möglichst genau bekannt sein und mit Berechnungen in Modellen des Klimasystems übereinstimmen.

Daraus ergeben sich je nach Skalenweite unterschiedlich hohe Anforderungen aus der meteorologisch orientierten Forschung und Praxis. Auch die regionale Wettervorhersage benötigt Angaben über die Strahlungsentwicklung in der Bezugsregion. (Raschke 2018)

Satellitenmessungen zur Strahlungsbilanz

Die ersten Messungen erfolgten von einem amerikanischen Satelliten der Explorer-Serie aus (1963). Dieser trug unter anderem einfache kugelförmige Sensoren, deren Messungen mit recht grober Auflösung eine Unterscheidung zwischen kalten und warmen Gebieten ermöglichten, wie sie durch unterschiedlich hohe Bewölkung eines Tiefdrucksystems erzeugt wurden. Die nachfolgende stürmische Entwicklung in der Sensorentechnologie sowie im Datentransfer zwischen dem Satelliten und den Empfangsstationen am Erdboden erhöhte zwangsläufig den Informationsgehalt solcher Daten und deren Wert für Forschungen und Anwendungen.

Seither ist die internationale Zusammenarbeit zu einer fruchtbaren Selbstverständlichkeit herangewachsen.

Beispielsweise wird die ESA-Mission EarthCARE (Earth Clouds, Aerosols and Radiation Explorer) neben der Strahlungsbilanz gleichzeitig auch mit aktiver Fernerkundung atmosphärische Profile von Wolken und Aerosolen messen. Durch die Komplexität eines gemeinsamen Einsatzes von Radar und Lidar aus dem All hat sich das Projekt stark verzögert und wird erst 2023 abheben. An diesem Projekt sind mehrere europäische Länder, Kanada und Japan beteiligt. Wolken, Aerosole und deren Wechselwirkungen stellen in derzeitigen Modellen zur Klimaentwicklung eine bedeutende Unsicherheit dar. Ein genaues Erfassen von Wolkenprozessen ist auch wichtig für Verbesserungen der numerischen Wettervorhersage.

Satelliten sind ideal positioniert, um Änderungen beim Strahlungsfluss in das System Erde-Atmosphäre  zu beobachten. Teile der eintreffenden Sonnenenergie wird von Wolken, Aerosol und der Erde selbst reflektiert. Der Rest wird absorbiert und wieder emittiert von Land- und Wasserflächen, von Wolken und weiteren Bestandteilen der Atmosphäre. Der Planet erwärmt sich als Ganzes, wenn die globale Strahlungsbilanz positiv ist, und er kühlt sich ab, wenn sie negativ ist.

Satelliten können den Strahlungshaushalt besonders gut an der Obergrenze der Atmosphäre messen und ihn dort langfristig überwachen, was entscheidend ist, um Klimatrends aufzuspüren. Die aktuelle Herausforderung besteht im Versuch, die Reaktionen von Atmosphäre, Land und Ozeanen auf Netto-Zuwächse oder Netto-Abnahmen des gesamten irdischen Strahlungshaushaltes zu quantifizieren. Dafür müssen bestehende Beobachtungssysteme weiter verbessert und ausgebaut werden.

Sonnenstrahlung und irdische Strahlungsbilanz radiation_processes Quelle: meted (Zugang über kostenfreie Registrierung)

Angaben über die Strahlungsflüsse sind auch nach dem Einsatz von Satellitenmissionen noch immer mit Unsicherheiten behaftet, da die Bestimmung globaler Mittelwerte mit einer Reihe von Schwierigkeiten verknüpft ist.

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